Show me what democracy looks like!
20. September 2019, Berlin: Unter dem Motto “Alle für’s Klima” finden heute zahlreiche Demonstrationen in der ganzen Welt statt. Am Abend des 19. sind bereits 5225 Events in 156 Ländern auf allen Kontinenten (inklusive Antarktis!) im globalen Fridays for Future Netzwerk gemeldet. Alleine in Deutschland gibt es über 500 Proteste.
Im Berlin sammelt man sich gegen 12.00 Uhr vor dem Brandenburger Tor. Schon jetzt sind sämtliche Verkehrswege überlastet. Straßenbahnen, Busse und Autos kommen nicht mehr ins Zentrum der Stadt, S-Bahn und U-Bahn sind restlos überfüllt. Wer es geschafft hat, findet sich am Brandenburger Tor vor einer Bühne mit Kundgebungen und Musik wieder. Die Berliner Band Culcha Candela macht Stimmung mit Hits wie “Schöne neue Welt” und thematisch eher weniger passenden Songs (“Monsta” und “Hamma!”). Mit etwas über einer Stunde Verspätung setzt sich der Demo-Zug dann in Bewegung. Es geht durch das Regierungsviertel, denn schließlich präsentiert hier in diesem Moment die Bundesregierung ihr Maßnahmenpaket gegen den Klimawandel. Es ist laut, aber absolut friedlich. Menschen aller Generationen gehen für ihre Zukunft oder die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder auf die Straße. Denn zum ersten Mal hatte nicht nur das Schülernetzwerk Fridays for Future zum Streik aufgerufen, sondern auch Organisationen wie die Evangelische Kirche und die Gewerkschaft ver.di, ebenso wie zahlreiche Kinderschutz-, Umwelt- und Hilfsorganisationen, Künstler sowie Eltern- und Großelternnetzwerke.
In Berlin spricht die Polizei von 100.000 Teilnehmenden, der Verantstalter zählt deutlich mehr, nämlich 270.000 Teilnehmer*innen. Deutschlandweit beteiligen sich 1,4 Millionen Menschen, global sind es mehrere Millionen. In Berlin kommt es zusätzlich noch zu Straßenblockaden durch Gruppen wie “Extinction Rebellion”. Der Autoverkehr lahmt. Der Autofahrer, den ich mich getraut habe anzusprechen, erzählt mir von seiner schwangeren Frau und wie sehr er sich wünscht, dem Ungeborenen eine heile Welt zu bieten. Er steht der Demonstration freundlich gegenüber, ein Großteil der Auto- und Busfahrer scheint jedoch weniger freundliche Gedanken zu hegen.
Als gegen 15 Uhr die Ergebnisse der Verhandlungen des Klimakabinetts bekannt werden, tobt die Menge. In dem Klimapaket sind nämlich unter anderem folgende Maßnahmen formuliert:
Der Ausstoß einer Tonne Kohlenstoffdioxid soll 2021 10€ kosten, danach jedes Jahr teurer werden, bis es 2025 35€ kostet.
Benzin und Diesel sollen ganze 3 ct pro Liter teurer, die Mehrwertsteuer auf Bahntickets von 19% auf 7% gesenkt und die Pendlerpauschale auf 5ct pro Kilometer ab dem 21. angehoben werden. Weiter wolle mal man den Kauf billiger E-Autos prämieren, ebenso den Austausch veralteter Öl-Heizungen durch klimafreundlichere Modelle.
Für diese Beschlüsse hagelt es Kritik. Auf der Demostration in Berlin ist vom Ende der Klimakanzlerin die Rede. Diese Entschlüsse seien ein Schlag ins Gesicht für die Versammelten und angesichts der 1,5 Grad Grenze des Pariser Abkommens ein wahrer Skandal. Wir erinnern uns: 2015 verpflichteten sich 197 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter anderem dazu, die Klimaerwärmung gegenüber der vorindustriellen Temperaturen nicht über 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen. Momentan ist die Erde schon etwa 1 Grad wärmer, was Trockenheit, Stürme, Überschwemmungen und ein großes Artensterben zur Folge hat. Doch das neue deutsche Klimapaket ist in keinem Fall in der Lage, das 1,5-Grad-Ziel auch nur annähernd zu treffen.
Und so bleibt die Frage, ob die Menge, wenn sich auf die Frage in der Überschrift mit: “This is what democracy looks like!” antwortet, wirklich die Wahrheit sagt.