Warum brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen? Interview mit Dorothee Herzog

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Was würdet ihr machen, wenn zu eurem eigentlichen Einkommen noch 1.200 € addiert werden? Vielleicht reisen, etwas auf die Seite legen oder sich weiterbilden?

Dieses Konzept nennt man bedingungsloses Grundeinkommen und Paula hat schon vor einiger Zeit über die Idee, die Finanzierung und über die Pro- und Kontrapunkte berichtet.

Der Begriff “bedingungsloses Grundeinkommen” begegnete mir schon vor 1,5 Jahren und ließ mich nicht los. Vor allem hat es mich interessiert, wie die Menschen darauf reagieren würden.

So hat es mich sehr gefreut, dass ich von dem Projekt “Mein Grundeinkommen” erfahren habe, welches genau das testet. 867 Menschen durften bereits Erfahrungen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen sammeln. Mit diesen Eindrücken haben sie ein Buch geschrieben und veröffentlicht, welches den Namen „Was würdest du tun?“  trägt.

Ich erhielt dann die Chance Dorothee, die bei „Mein Grundeinkommen“ arbeitet, einige Fragen zu stellen. Sie ist dort für den Support und Community Management zuständig.

Was sind Ihre Argumente für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)?

Das ist natürlich eine sehr große Frage. Argumente gibt es sehr viele. Grundsätzlich kann man zwischen humanistischen und liberalen Argumenten für ein Grundeinkommen unterscheiden.

Das für mich persönlich Charmante an der Idee ist, dass sie das Potential hat, das beste aus beiden Welten zu vereinen. Eine bedingungslose Grundsicherung in ausreichender Höhe sollte ein Rechtsanspruch sein, wenn wir Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes ernst nehmen wollen. Denn, wie können wir den Menschen ein Leben in Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantieren, wenn wir ihnen nicht auch gleichzeitig das Recht auf eine finanzielle Absicherung zugestehen?

Ungefähr ein Sechstel der Bevölkerung in Deutschland ist oder lebt unterhalb der Armutsgrenze. bei Alleinerziehenden sind es sogar noch deutlich mehr.

Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen müsste niemand mehr um seine Existenz bangen. Das ist natürlich an sich schon ein erstrebenswertes Ziel, gleichzeitig ist es aber auch Voraussetzung für echte und gelebte Autonomie, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt sondern auch im Leben allgemein.

Solange ökonomische Zwänge mein Leben bestimmen, kann ich keine wirklich freien Entscheidungen treffen. Arbeitnehmer*innen sind aktuell keine wirklich freien Subjekte auf dem Arbeitsmarkt. Je nach Branche bin ich als Arbeitnehmer*in unter Umständen dazu gezwungen, unter Bedingungen zu arbeiten, die ich mir freiwillig niemals zumuten würde und auch meine Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, sind eingeschränkt. Das macht die Menschen krank, zum Teil sogar unproduktiv – Depression und Burnout sind auf dem Weg, Volkskrankheit Nr. 1 zu werden. Spannenderweise fürchten Kritiker*innen eines Grundeinkommens häufig gerade diese Autonomie auf dem Arbeitsmarkt, für mich ist es eines des stärksten Pro-Argumente.

Durch den Verein „Mein Grundeinkommen“ wurde vielen Menschen für ein Jahr ein BGE geschenkt. Was haben Sie von den Gewinnern des Geldes für Rückmeldungen erhalten?

Unsere Verlosung von Grundeinkommen gibt es bereits seit 2014. Mittlerweile haben wir über 800 Ein-Jahres-Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro pro Monat verlost. Was wir vor allem von unseren Gewinner*innen gelernt haben, ist, dass das Grundeinkommen nicht so sehr über die zusätzliche Finanzspritze wirkt als über die Bedingungslosigkeit. Wer zuvor von Armut betroffen oder bedroht war, hat das Geld natürlich zunächst in notwendige Anschaffungen investiert. Es wirkt aber auch und gerade bei den Menschen, die finanziell gar nicht unbedingt auf den Gewinn angewiesen waren. Das hat uns positiv überrascht. Unsere Gewinner*innen sind weniger gestresst als vorher und haben weniger Existenzängste, sie fühlen sich gesünder – zwei Gewinner*innen mit Morbus Crohn, einer chronischen entzündlichen Darmerkrankung, haben seit ihrem Grundeinkommensgewinn keine Symptome mehr. Unsere Gewinner*innen fühlen sich selbstwirksamer, haben also den Eindruck, dass sie Herausforderungen besser bewältigen und aktiv Einfluss auf ihre Lebenssituation nehmen können. Viele geben an, durch das Grundeinkommen großzügiger geworden zu sein und sich mehr als vorher Gedanken darüber zu machen, welchen Beitrag sie für die Gesellschaft leisten können. Immer wieder sagen uns Gewinner*innen auch, dass sie umweltbewusster konsumieren und sich mehr Gedanken um Nachhaltigkeit machen. Unser Gründer Michael Bohmeyer hat gemeinsam mit Autorin Claudia Cornelsen im Jahr 2018 zahlreiche Grundeinkommensgewinner*innen aus unserer Verlosung besucht und interviewt. Die Erkenntnisse haben sie in unserem Spiegel-Bestseller “Was würdest du tun?” verarbeitet. Letztes Jahr haben wir das Buch Kapitel für Kapitel kostenfrei als Podcast veröffentlicht.

Am 01.06.2021 begann das Pilotgramm zum bedingungslosem Grundeinkommen, bei dem auch der Verein „mein Grundeinkommen“ mithilft.

Es soll 3 Studien geben: Die erste nennt sich Grundeinkommen on top, hier erhalten 120 Teilnehmer*innen für 3 Jahre 1.200 Euro zu ihrem eigentlichen Gehalt drauf gerechnet. Anschließend kommt es zur 2 Studie, welche 2022 starten soll. Hier wird das Einkommen auf 1.200 Euro aufgestockt. Zum Schluss wird es das BGE mit einer simulierten Besteuerung geben. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, schaut gerne auf die Internetseite https://www.pilotprojekt-grundeinkommen.de/ vorbei.

Warum haben Sie bei dem Pilotprogramm genau die drei Studien ausgewählt und weshalb in Studie 3 die Finanzierungsmöglichkeit genommen und nicht die der Linken zum Beispiel?

Mit unserem Pilotprojekt Grundeinkommen, der ersten bundesweiten wissenschaftlichen Studie zum Bedingungslosen Grundeinkommen, wollen wir die Erkenntnisse, die wir aus den Erfahrungen mit unseren bisherigen Verlosungsgewinner*innen gesammelt haben, wissenschaftlich prüfen und zu einer faktenbasierten Debatte beisteuern. Wir haben viele Annahmen, wie ein Grundeinkommen wirken könnte, Vieles wissen wir aber nicht sicher – das wollen wir ändern.

Das Studiendesign der ersten Studie orientiert sich daher an unseren Fragestellungen an das Grundeinkommen. Wie beeinflusst es das Verhalten der Teilnehmer*innen auf dem Arbeitsmarkt, in Politik und Gesellschaft, wie wirkt es sich auf die Gesundheit und das individuelle Konsumverhalten aus, wie ändern sich vielleicht Einstellungen und Werte? Dafür erhalten 122 Teilnehmer*innen seit dem 01. Juni 2021 für drei Jahre in Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro pro Monat.

Um sichergehen zu können, dass die Effekte wirklich auf das Grundeinkommen zurückzuführen sind und nicht auf anderweitige gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, werden die Ergebnisse der Grundeinkommensempfänger*innen einer Vergleichsgruppe gegenübergestellt, die kein Grundeinkommen erhält. Anhand der Resultate können wir mögliche gesellschaftliche Folgen eines Bedingungslosen Grundeinkommens abschätzen.

Studien 2 und 3 erfolgen nur, wenn Studie 1 deutliche Effekte erzeugt.

In Studie 2 wollen wir prüfen, ob die Wirkungen aus Studie 1 auch noch vorhanden bleiben, wenn das Einkommen der Teilnehmer*innen nur noch auf 1.200 Euro aufgefüllt wird, wenn sie darunter liegen. Es geht also um die Frage, ob das Grundeinkommen über das Sicherheitsgefühl wirkt – egal, was passiert, ich kann nicht unter 1.200 Euro rutschen – oder ob es seine Wirkung über das Mehr an Geld entfaltet. Falls sich positive Effekte über ein Sicherheitsgefühl einstellen, dann wäre das ein starkes Argument für eine Finanzierung über eine Steuerreform, bei der das Grundeinkommen letztlich effektiv so etwas wie eine bedingungslose Grundsicherung darstellt.

In Studie 3 wollen wir eine Art negative Einkommensteuer simulieren, weil dies ein Finanzierungsmodell ist, das relativ einfach getestet werden kann. Dabei wollen wir den Netto-Verdienst der Studienteilnehmer*innen mit einer simulierten Einkommensteuer besteuern. Faktisch werden wir allerdings dabei niemandem etwas von seinem Nettogehalt abziehen, wir werden aber so tun, als gäbe es eine Einkommensteuer von 50 Prozent auf alle Netto-Einnahmen. Allen, die mit einer solchen Steuer noch Anspruch auf ein Grundeinkommen hätten, werden wir den Differenzbetrag auszahlen. Die Transfergrenze liegt in diesem Experiment bei 2.400 Euro, denn 50 Prozent von 2.400 sind 1.200 Euro (also genau die Höhe des in der Studie ausbezahlten Grundeinkommens).

Das heißt, alle Teilnehmer*innen die 2.400 Euro netto und mehr verdienen, erhalten kein zusätzliches Geld mehr. Damit wollen wir die Frage beantworten, ob sich eine negative Einkommensteuer als Finanzierungsmodell für ein Grundeinkommen eignen könnte.

Wie haben Sie die Teilnehmer*innen der Studie ausgewählt?

Am liebsten hätten wir eine Studie durchgeführt, die für alle Personengruppen in Deutschland repräsentativ ist. Bei einer Studie dieser Größenordnung ist dies leider nicht möglich. Wir mussten uns daher auf eine Gruppe von Menschen einschränken, die am besten dazu geeignet ist, unsere Fragen bezüglich der Wirkung von Grundeinkommen zu beantworten. Die Auswahlkriterien orientierten sich also am größtmöglichen Erkenntnisinteresse für die Forschung. Für die Vergleichbarkeit haben wir uns auf Ein-Personen-Haushalte beschränkt, die Altersgruppe liegt zwischen 21 und 40 Jahren und die Teilnehmer*innen stammen aus der Mittelschicht. Das Auswahlverfahren erfolgte über einen mehrstufigen Bewerbungsprozess, bei dem letztlich der Zufall darüber entschieden hat, wer in der Grundeinkommensgruppe und wer in der Vergleichsgruppe ohne Grundeinkommen landet.

Wann, denken Sie, wird das BGE einen so großen Zuspruch erhalten, um es durchzusetzen und was für Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?

Darüber können wir nur spekulieren. In letzter Zeit und gerade auch im Zuge der Corona-Pandemie ist das Grundeinkommen zunehmend in den Fokus der öffentlichen gesellschaftlichen Debatte gerückt.

Letztes Jahr gab es zwei große Petitionen für die (zeitweise) Einführung eines Grundeinkommens, die wir als Verein unterstützt haben. Tonia Merz hat mit ihrer Petition auf change.org mittlerweise fast 500.000 Unterschriften gesammelt. Suanne Wiests Petition war die größte, die jemals online im Bundestag eingereicht wurde.

Mehr und mehr Parteien oder zumindest Interessensgruppen innerhalb verschiedener Parteien sprechen sich für ein Grundeinkommen aus. Die Linke hat erst kürzlich das BGE in ihr Parteiprogramm aufgenommen, bei den Grünen steht es immerhin als Leitidee im Grundsatzprogramm. Kaum ein*e Politiker*in kommt mehr darum herum, sich irgendwie zu diesem Thema zu positionieren. Das sind Entwicklungen, die uns Hoffnung machen.

Als Rahmenbedingungen sind natürlich umfassende Reformen notwendig, neben der Steuer müssten wir uns auch Gedanken darüber machen, wie mit den Sozialversichungsbeiträgen umgegangen werden soll, wie zum Beispiel auch Rentenansprüche zukünftig mit dem Grundeinkommen verrechnet werden könnten usw. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, wie ein Grundeinkommen aussehen könnte, das nicht gleich europaweit eingeführt würde.

Innerhalb der EU herrscht ja Freizügigkeit. Das würde ein Grundeinkommen, das z. B. nur in Deutschland eingeführt werden würde, vor die Herausforderung stellen, wer eigentlich anspruchsberechtigt ist, was das für die Binnenmigration bedeutet und wie und ob Leistungsansprüche, die in anderen EU-Staaten erworben wurden, gegebenenfalls mit dem Grundeinkommen verrechnet werden können.

Es gibt aber natürlich auch die Möglichkeit, gleich an einem europaweiten Grundeinkommen zu arbeiten. Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) Bedingungsloses Grundeinkommen sammelt gerade online Unterschriften, um das Europaparlament und die EU-Kommission dazu aufzufordern, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie ein europaweites Grundeinkommen in den einzelnen Mitgliedstaaten aussehen könnte.

Da stellt sich mir zum Schluss die Frage: Warum gibt es dann noch kein bedingungsloses Grundeinkommen? – bei den gerade genannten Vorteilen

Vielleicht liegt es daran, dass die Hoffnung, die gerade schon besprochen wurde, der Angst und der Ungewissheit unterliegt, wie die Menschen mit dem Geld umgehen.

Man kann so lange darüber philosophieren und Gedankenspiele durchgehen, um zu schauen, was passiert. Schlussendlich muss man es anpacken und austesten, deswegen ist das Projekt so wichtig, um das Ungewisse noch zu klären und zu schauen, ob sich die Hoffnungen oder die Ängste bewahrheiten.

Im zweiten Teil des Interviews wird es dann um konkrete Ideen der Politik gehen und die Argumente der Kritiker.

geschrieben von: Pavel Stöck

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