Herr Rösler und der Mauerfall (Folge 1)
Der Mauerfall hat vor 30 Jahren das Leben der Menschen drastisch verändert. Sie mussten neue und alte Herausforderungen meistern. Sind sich die Menschen nach 30 Jahre Wiedervereinigung näher gekommen? Diese Frage stelle ich einem Menschen, der den Mauerfall hautnah mit erlebt hat: Herr Rösler ist Deutsch-, Ethik, Geographie- und Geschichte-Lehrer an unserer Schule. Er war 23 Jahre alt und lebte in Ost Berlin um zu Studieren, als Deutschland vereint wurde.
Wie lief ihr Abend des 09.11.1989 ab und wie haben sie vom Mauerfall erfahren?
Ich habe am 09.11.1989 vom Mauerfall überhaupt nichts mitbekommen, ich habe am Schreibtisch gesessen und habe mich auf eine Unterrichtsstunde vorbereitet. Ich habe weder Radio gehört oder Fern geschaut und nichts mitbekommen. Meine Frau und ihre Mutter waren im Französischen Kulturzentrum und ihnen ist aufgefallen, dass so viele Menschen unterwegs waren, konnten sich das aber nicht erklären.
Vom Mauerfall erfahren habe ich am nächsten Vormittag in der Uni. Da kamen andere Studenten und haben davon berichtet. Ich habe es zunächst nicht geglaubt und als es mit klar war, war ich praktisch veranlagt und wollte gleich die Gelegenheit nutzen, um in den Westen zu gehen und mir das Begrüßungsgeld, also die Hundert DM, abzuholen. Ich habe das sogar richtig offiziell gemacht und habe mir ein Visum geholt.
Es waren Hunderte Menschen die dort anstanden, diese haben dann in ihren Personalausweis einen Visum stempeln lassen. Das für mehrere Ein- und Ausreisen galt, weil ich mir nicht sicher war, ob diese Möglichkeit des Grenzübertritts so bleibt. Erst nachher bin ich dann über den Übergang Heinrich Heine Straße nach Kreuzberg gegangen; das war am 10.11.1989.
Wie hat sich ihr Leben nach dem Mauerfall verändert?
Mein Leben hat sich eigentlich überhaupt nicht verändert. Ich bin weiterhin Student geblieben hab mein Studium 1991 zu Ende geführt, da gab es die DDR nicht mehr. Es hat es sich in den Studien Inhalten relativ schnell einiges geändert und die hauptsächliche Veränderung war dann, dass ich nach dem Studium nicht an die Schule gehen konnte, sondern noch zwei Jahre ein Referendariat absolvieren musste, weil das System an die Bundesrepublik abgepasst wurde. Und das habe ich dann als sehr ungerecht empfunden, weil ich das gesamte fünfte Studienjahr schon Unterrichtserfahrung gesammelt hatte.
Was könnte die Politik noch verändern, dass sich Osten und Westen Wirtschaftlich näher kommen?
Das ist eine relativ schwierige Frage. Das Hauptproblem der durch den Mauerfall entstanden ist, ist die weitgehende Entindustrialisierung in den Östlichen Bundesländern. Wir haben heute natürlich sehr gut sanierte Fußwege, Straßen und Häuser im Osten. Aber das Problem ist natürlich, dass es zu wenige Arbeitsmöglichkeiten gibt und dadurch die Abwanderung von Ost nach West immer noch besteht.
Finden sie, sie haben sich gut in die Bundesrepublik eingefunden?
Ich habe danach 20 Jahre im Westteil Berlins gearbeitet, für mich war das nie ein Problem für mein Umfeld auch nicht, dass ich sozusagen als „Ossi“ plötzlich im Westen gearbeitet habe. „Ja“ kann ich sagen ich habe mich integriert. Meine Herkunft will ich nicht verleugnen, muss ich auch nicht – und dazu stehe ich auch. Für meine Generation war es eigentlich relativ günstig.
Hier muss man natürlich unterscheiden, die Generation meiner Eltern ist natürlich durch die Ereignisses des Mauerfalls erheblich in ihren Biografien beschädigt worden. War bei meinen Eltern auch so, sie sind unmittelbar nach der Wende arbeitslos geworden. Und am Beispiel meiner Mutter habe ich das gemerkt. Mit 48 ist sie Arbeitslos geworden und hat nie wieder eine reguläre Arbeit bekommen können.
Und so ist es Hunderttausenden ergangen. Für diese Generation ist natürlich der Mauerfall nicht nur ein positives Ereignis.
Wo würden Sie stehen, wenn es denn Mauerfall nicht gegeben hätte?
Ich würde wahrscheinlich heute irgendwo in Mecklenburg sein. Lehrer wäre ich wahrscheinlich geworden. Ich hätte mein Studium abgeschlossen. Danach musste man sich verpflichten, drei Jahre lang dahin zu gehen, wo man gebraucht wird. Die Humbold Uni hatte nach Mecklenburg eine ganze Menge Plätze zu belegen.
Sind die Vorurteile von Menschen die im Osten und Westen gelebt haben stimmig?
Das Wort Vorurteile sagt ja schon, dass es eine falsche Aussage ist. Natürlich gibt es Unterschiede. Zu diesen kann man auch stehen. Die Menschen haben unterschiedliche Entwicklungen durch gemacht, dadurch haben sie auch auf die Ereignisse unterschiedliche Blicke.
Diese Vorurteile sind eine Generationen-Frage und werden erst mit euer Generation verschwinden. Natürlich hat man irgendwelche Gedanken, ich versuche mich dann auch immer wieder zu reflektieren – und dass man Menschen nicht mit Vorurteilen begegnet sollte.
Bei mir im Freundeskreis macht es gar keinen Unterschied ob jemand aus dem Osten oder Westen kommt. Wenn dann jemand Wörter anders ausspricht, weiß man sofort: Du hast ja auch die gleiche Zeit im gleichen System genossen. Da ist Berlin auch nochmal etwas besonderes, weil du dort einen starke Vermischung hast. Das ist natürlich in Sachsen anders, wo relativ wenige Westler wohnen.
Hat man schon einige Tage vorher gemerkt, dass bald etwas passiert?
Dem Sonnabend davor, am 4.11.1989, war eine große Demonstration am Alexanderplatz. Ich weiß nicht, wie viele hunderttausende Menschen dort waren. Ich bin ganz ehrlich: Ich bin nicht hingegangen, ich hatte keine Lust auf solche große Demonstrationen. Es waren so viele, die passten auf den Alexanderplatz und die Umgebung gar nicht mehr drauf.
Da ging es natürlich um Reisefreiheit, Pressefreiheit und das man in seinem Persönlichkeitsrecht nicht so eingeschränkt war, also das, was die Menschen erhofft haben. Die Oberen der DDR haben diese Situation nicht erkannt und die Leute hatten die Nase voll. Es ging nicht um Vereinigung. Es ging den Leuten um Verbesserung der DDR.
Dort haben viele Prominente der DDR gesprochen, manche Personen wurden dort ausgebuht. Z.B. Markus Wolf, Chef des Außen-Geheimdienstes. Er hatte einen schweren stand, die haben ihn ordentlich ausgebuht. Er hat trotzdem gesprochen.
Danke für das Interview. Teil 2 folgt.
Interview: Pavel (9.5)