Herr Rösler und der Mauerfall (Folge 2)

In Folge 1 des Interviews gab es noch viel mehr zu erzählen, als in einen Artikel gepasst hätte. Deshalb kommt nun Folge 2 aus dem Interview und Herr Rösler kommt ausführlich zu Wort. 

Ich habe über den Mauerfall sehr viel diskutiert. Mit meiner Frau und Freunden, manches ist davon gar nicht so leicht zu beantworten. Die Reisefreiheit war natürlich etwas angenehmes. Hätte man damals im November gewusst, wie es kommt, weiß ich nicht, wie man sich verhalten hätte. Denn das hat doch ganz tiefe Einschnitte gegeben.

Diese Entscheidung, dass Ost gegen West Geld im Verhältnis 1 zu 1 und 2 zu 1 getauscht wurde erschien erstmal sehr angenehm. Es kamen aber viele Probleme deswegen, weil ja nicht nur das Geld so gewechselt wurde, sondern auch die Schulden. Die hatten dann plötzlich auch 50 % ihrer Schulden in West-Mark. Der Umsatz ist eingebrochen. Und das hätte nicht so sein müssen.

Damit hat man auch die ganze Wirtschaft der DDR kaputt gemacht. Und das Schlimme: In Geschichtsbüchern, wenn es um Wirtschaft der DDR geht, tauchen immer wieder die gleichen Bilder der rostigen Betriebe auf, wo es überall raustropft und wo alles zusammen fällt. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es gab natürlich genauso Betriebe, die hochmodern waren. Ich hab auch einige dieser Betriebe gesehen und auch in welchen gearbeitet, wo hochmodere Maschinen aus der Schweiz gestanden haben.

Es war auch so, dass man natürlich aus der wirtschaftlichen Sicht der Bundesrepublik sich gefreut hat, dass man 17 Millionen mehr Menschen hatte, die etwas einkaufen konnten. Aber sie wollten deren Industrie nicht, weil es Konkurrenz ist. Ich komme aus einer Textilregion und die hat man völlig platt gemacht.  Aus meiner Sicht war es auch eine Lüge, dass man immer sagt man hat ja gar nicht gewusst wie die DDR Wirtschaft war. Das ist Unsinn zur Vereinigung wäre es gar nicht gekommen, wenn man Wirtschaftlich gesagt hätte das Lohnt sich für uns.

Es ist auch nicht so, dass alle Produkte nicht mehr abgekauft wurden. Natürlich sind alle lebensmittelverarbeiteden Betriebe eingegangen, weil aus heutiger Sicht die Leute zu ,,blöde” waren und die bunte Westmilch gekauft haben. Und die Vollmilch aus der Molkerei von neben an nicht. In der Region aus der ich komme gab es einen Betrieb, der Kleinelkawes herstellte. Die hießen „Robur“, waren in Afrika sehr beliebt, weil sie besonders robust waren.

Die Auftragsbücher waren für die nächsten fünf Jahre voll. Diese sind dann zu Mercedes gewandert, und die konnten dann die Fahrzeuge liefern. Die Firma war ein halbes Jahr danach tot. Und solche Dinge hat es oft gegeben.

Die Menschen haben natürlich nicht gesehen, was das für einen Rattenschwanz nach sich zieht, weil sie ganz verrückt darauf waren, zu reisen und Bananen zu essen. Das heißt natürlich nicht, dass ich jetzt sage: Ich will die Zeit zurück drehen, dass gibt es sowie so nicht. Dort sind unheimlich viele Fehler gemacht worden und diese haben jetzt natürlich Auswirkungen.

Der Generation meiner Eltern wurde die Lebensleistung abgewertet. Da hat man immer gesagt: ,,Die im Osten, die im Osten, alles schrecklich und so.” Diese Leute haben 40 Jahre in diesem Staat gelebt. Und die konnten es sich mal nicht aussuchen, wo sie geboren wurden. Die bundesdeutsche Wirtschaft hat unheimlich davon profitiert, dass es den Osten gegeben hat. Wir waren sozusagen das China der Bundesrepublik vor der Wende.

Das, was jetzt mit China oder mit Bangladesh passiert, das war damals mit dem Osten. Zum Bespiel Strumpfhosen haben in der DDR 15 Mark gekostet. Dafür hat meine Mutter 4-6 Stunden gearbeitet. Die gleiche Hose wurde in die Bundesrepublik maximal für 15 Pfennig West verkauft. Die DDR war früher ein Billiglohnland für die Bundesrepublik.

Die DDR hatte auch Positives. Man konnte zum Beispiel für 50 Pfennig Mittags in der Schule essen. Ein Schulbuch hat nur 1.50 gekostet und nicht wie heute für 25 Euro. Früher konnten alle eine guten Bildung genießen. Man kann nicht bei allen Sachen eine Schwarz-Weiß-Malerei machen.

Natürlich war die DDR auch eine Diktatur, weil eine Meinung herrschte – und jemand, der abwich konnte bestraft werden. Aber es stand nicht immer die Stasi hinter mir, natürlich haben sie versucht einige Sachen zu beobachten und haben spioniert. Das wusste man auch, wenn man sich damit beschäftigt hat.

Ich habe ein paar mal diese Situation erlebt, dass Leute mich ausfragen wollten, die mich gar nicht kannten. Wo ich dann überlegt habe: Warum sind die gerade so freundlich zu mir? Ein mal hat mich jemand gefragt ob ich über die Grenze gehen möchte. Das war natürlich eine Falle und darauf habe ich mich auch nicht eingelassen, weil mir das klar war. Trotzdem war der Alltag nicht nur grau und hässlich. Die Leute haben auch gearbeitet und gelebt.

Dann sagt der Westdeutsche wieder: ,,In den Osten ist so viel Geld geflossen in den 90er Jahren.” Da haben sie auch recht. Da sind auch total idiotischen Sachen mitgemacht worden, in jedem Dorf gibt es eine Straßenbeleuchtung, die die ganze Nacht leuchtet.

Ich verstehe nicht, warum die AfD in Gebieten so viel Zustimmung erfährt, die wirtschaftlich stark dastehen, z.B in Usedom. Wenn das in Sachsen-Anhalt ist, wo es keine Industrie gibt und wenig Arbeitsplätze, kann ich mir das eher vorstellen.

Ich selber bin in gewisser Hinsicht ein Gewinner der Vereinigung, weil ich ein Lehrer geworden bin, der in der Bundesrepublik ganz anders bezahlt wird. Für meine Eltern war es traumatisch.

 

Interview: Pavel  (9.5)

 

 

geschrieben von: qurt. junior

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.