„Ich habe Hip-Hop quasi studiert.“

Wie viele weibliche Rapperinnen kennt ihr? In meinem Fall sind das 4 oder 5. Diese Zahl möchte Lina Burghausen mit ihrem Projekt 365 Female MCs ändern. Die 30-jährige lebt in Leipzig und arbeitet als Musikjournalistin, Musikpromoterin und DJ und seit diesem Jahr auch als A&R (Artist&Repertoire) von einem Musik-Label namens 365XX. In diesem Interview stelle ich Fragen rund, um ihr Projekt 365 Female MCs, ihr Label und die Ungerechtigkeit gegenüber Frauen im Hip-Hop.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, das Projekt 365 Female MCs ins Leben zu rufen, gab es da ein bedeutendes Erlebnis oder einen wichtigen Grund?

 Ich bin seit über 20 Jahren Hip-Hop-Fan, bin mit 9 Jahren Hip-Hop-Fan geworden und hörte seit diesem Zeitpunkt Rap. Seitdem war es normal, dass ich irgendwie eine von wenigen Frauen war, die das mochten. Ich hatte auch keine anderen weiblichen Freunde, die Hip-Hop gehört haben, als ich Teenager war. Das war für mich irgendwie normal und ich habe das nie so richtig hinterfragt.

Erst später, als ich in dem Bereich auch angefangen habe zu arbeiten und mit ganz vielen, auch jungen Frauen gesprochen habe, die auch Hip-Hop-Fan waren, selbst rappten oder als DJ auflegten und die es genauso erlebten. Es gibt offenbar ja ganz viele Frauen im Hip-Hop, entweder stehen sie im Publikum, auf der Bühne oder arbeiten hinter den Kulissen, wie ich. Aber irgendwie heißt es immer, es gäbe ja keine, und auch viele Frauen haben das Gefühl […]. Und woran liegt das?

Und das war das erste Mal, dass mir das bewusst geworden ist, vielleicht mit Anfang 20. Dann habe ich immer wieder Diskussionen geführt, auch […] über Facebook, Twitter und so. Wenn Leute meinten: es gibt ja keine guten Rapperinnen, sagte ich: doch es gibt sie, aber sie bekommen einfach nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie ihre männlichen Kollegen und das ist unfair. Und dagegen muss man halt was machen. Das ist ein strukturelles Problem.

Ich hatte unter anderem auch so eine Debatte mit dem Rapper Fler auf dem Reeperbahn-Festival 2018. Das hat mir einen ziemlichen Shitstorm eingebracht, als ich ihm widersprochen habe und Partei für Frauen im Hip-Hop ergriffen habe. Das war […] ein Trigger für mich, warum ich gesagt habe: Du musst irgendwas machen, damit du den Leuten zeigst, dass Frauen im Rap keine Randerscheinung sind.

Deshalb startete ich dieses Projekt und überlegte, wer fällt mir ein und welche Rapperinnen gibt es denn so. Dann habe ich auch im Freundeskreis nachgefragt, ein wenig recherchiert. Die Idee von 365 Female MCs war: ein Jahr lang jeden Tag eine Rapperin vorzustellen, möglichst unterschiedliche Frauen, ganz verschiedene Geschichten. Jeder Mensch, der sich für Hip-Hop interessiert, sollte auf jeden Fall in jedem Monat eine neue Lieblingsrapperin finden. Inzwischen ist die Reihe schon im zweiten Jahr, wir haben jetzt im Juli unser 500. Portrait und haben eine Datenbank mit über 1600 Rapperinnen aus der ganzen Welt.

 

Worin sehen Sie die Ursachen, dass der Frauen-Rap unterrepräsentiert ist?

 Das ist eine sehr schwierige und komplexe Frage, die du da stellst. Und zwar ist es so, dass Hip-Hop aus dem Süden der Bronx in New York stammt. Es war halt zuerst eine Straßenkultur, da haben ganz viele Leute mitgewirkt, ganz viele Frauen waren dabei, aber wenn man heute darüber spricht, wer so die prägenden Menschen waren, fallen vielen nur Männernamen ein. Obwohl es nachweisbar Frauen gab, wie z. B. eine der ersten Rap-Aufnahmen von einer Frau namens Sweet Tee […]

Es gab wirklich ganz viele wegweisende Charaktere im Hip-Hop, aber irgendwie haben sie nicht diese Aufmerksamkeit bekommen. Ich glaube, es hat viel mit der Entwicklung vom Hip-Hop zu tun, aber es ist nicht nur ein reines Hip-Hop Problem. Wenn du in andere spezielle Musikrichtungen schaust, wie Electro, Techno, Punk uns so, ist alles auch super männerdominiert.

Ich glaube, das hat viel mit der Erwartung zu tun, die wir gegenüber Frauen haben, dass sie nur singen oder schmückendes Beiwerk im Hintergrund sind. Zum anderem auch, dass Hip-Hop sehr die Männlichkeit in den Vordergrund stellt, seit Gangster-Rap das prägende Genre ist, und da haben Frauen einen bestimmten Platz. Das hat mit Hip-Hop selbst aber gar nicht so viel zu tun. Was auch noch ganz wichtig ist, dass auch in der Musikindustrie vor allem Männer arbeiten, also in den Plattenlabels und als Veranstalter, die die Konzerte planen.

Es ist nachgewiesen, dass Jungs und Männer andere Jungs und Männer anrufen, wenn sie ein Konzert planen und nicht unbedingt eine Frau buchen oder unter Vertrag nehmen. Dadurch wurde Frauen-Rap als eigene Musikrichtung abgestempelt, was eigentlich gar nicht zutrifft. […] 

 

Sie haben ja schon gerade erwähnt, dass Sie über 1000 Künstlerinnen auf Ihrer Festplatte haben. Wie und mit welchen Kriterien suchen Sie die Künstlerinnen aus? Treten einige Künstlerinnen auch auf Sie zu?

Ja, das kommt auf jeden Fall vor. Es ist eine Mischung […] Ich kenne natürlich viele, weil ich viel im Internet unterwegs bin und dann werden mir auch Leute empfohlen, da das Projekt ja relativ bekannt ist. Aber wir werden auch immer öfter angeschrieben, zum Teil aus anderen Ländern […], ob wir nicht die und die featuren können. Das nimmt zu, aber das meiste ist tatsächlich immer noch Eigenrecherche oder dass uns Rapperinnen über den Weg laufen, z. B., wenn ich über Instagram scrolle. Unter dem Hashtag Female Rapper entdecke ich irgendwie immer eine andere krasse Rapperin, die ich noch nie auf dem Schirm hatte. Ich hatte immer mal wieder diesen Punkt gehabt, wo ich dachte: Boa, jetzt kennst du aber alle. Und dann hast du wieder eine andere Krasse entdeckt, wo ich mir dachte: wie kann das sein, dass ich sie nicht kenne. Deswegen werden es immer mehr und jetzt sind wir bei 1615 aktuell […].

 

Denken Sie, dass einige weibliche Künstlerinnen Ihr Projekt als Sprungbrett nutzen, weil es ja relativ viel Aufmerksamkeit generiert hat?

 Ich denke, das wird so sein. Ich bekomme auf jeden Fall sehr viel gutes Feedback von Rapperinnen, aber ich bekomme auch sehr tolles Feedback von z. B. Veranstaltern. Ich war z. B. letztes Jahr auf dem Hip-Hop Camp, das ist ein Hip-Hop Festival in Tschechien, was ziemlich cool ist. Da kam die Bookerin zu mir, die dort die Künstler*innen mit bucht und somit entscheidet, wer spielt. Sie meinte zu mir: Ja, die und die Künstlerin habe ich gebucht, weil ich sie in deinem Blog entdeckt habe, und das ist dann natürlich cool, einfach zu wissen, da spielt eine Künstlerin auf so einem großen Festival, weil sie eine Plattform bekommen hat und andere Leute sie dadurch auf den Schirm bekommen haben […].

Und das ist schon ein paar Mal so gewesen, dass eben Leute, die Entscheidungen treffen oder Veranstaltungen machen, eben eine coole Künstlerin entdeckt haben […]. Das freut mich natürlich besonders und […]  wenn das halt dazu führt, dass die Künstlerin in ihrer Musik weiterkommt, einfach dadurch, dass wir sie featuren.

 

Ich habe sehr viele Interviews von Ihnen gelesen, dabei waren nicht nur Zeitungen, die im Rap aktiv sind, sondern auch öffentlich-rechtliche. Haben Sie mit der medialen Aufmerksamkeit für Ihr Projekt gerechnet?

 In dem Maße gar nicht. Als ich das Projekt gestartet habe, da war ich vor allem wütend. Über Jahre habe ich immer und immer wieder dieselbe Diskussion geführt, wenn du halt als Frau im Hip-Hop unterwegs bist, wirst du so oft behandelt wie ein Einhorn: uh, das ist ja außergewöhnlich, dass du dich mit Hip-Hop auskennst. Darauf hast du verschiedene Reaktionen.

Einige Leute sprechen dir ab, dass du davon Ahnung haben kannst und dann hast du halt irgendwelche Typen, die zu dir kommen und dir sagen: ja, komm jetzt, ich erklär dir jetzt mal wie Hip-Hop funktioniert, und meine Reaktion ist dann: du brauchst mir nicht erklären, wie Hip-Hop funktioniert, weil ich beschäftige mich das ganze Leben mit Hip-Hop und ich habe Hip-Hop quasi studiert an der Uni, mehr oder weniger. Ich arbeite in dem Bereich du brauchst mir nichts erklären, I know.

Das ist die eine Reaktion, die andere ist, dass Leute voll fasziniert sind: Boa, das ist aber selten.  Und ich denke mir, nein das ist nicht selten. Es gibt ganz viele von mir. Ich war einfach so sauer, dass ich immer dieselbe Situation erleben musste, so dass 365 Female MCs eine ziemliche Trotzreaktion war.

Ich dachte schon, dass es Wellen schlagen wird. Ich habe auch einen relativ großen Bekanntenkreis von Leuten, die auch im Hip-Hop unterwegs sind. Und da dachte ich mir schon, dass es einige Leute teilen, aber ich habe das gepostet und es ging so durch die Decke. Ab dem zweiten Monat kamen die Interviewanfragen rein und das war richtig verrückt für mich. Ich habe echt nicht damit gerechnet, dass ich damit so eine Aufmerksamkeit bekomme.

Und vor allem von Medien, wie du schon sagst, die überhaupt nicht typische Hip-Hop-Medien sind. Wobei ich mich bei den Hip-Hop-Medien krass darüber freue, wenn sie es featuren, weil sie ja sonst oft eher über männliche Künstler berichten, und ich, mit dem was ich mache, denen ein bissen den Zeigefinger zeige: warum berichtet ihr denn nicht über die Rapperinnen, die ich gefunden habe. Es gibt sie ja, warum sind auf eurer Seite nur Männer, was ist euer Problem?  […]

 

Im zweiten Teil dieses Interviews sprechen wir über ihr Label, über die Auswirkungen ihres Projektes und über die Zukunft.

 

Text: Pavel 9.e

Bild: Vanessa Seifert

geschrieben von: qurt. junior

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