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Heile Welt?

Ein Jahr nach der Ermordung George Floyds blicke ich zurück auf das was war und das was ist.

Es grassiert eine Krankheit. Eine Krankheit, die die ganze Welt in Atem hält. Corona ist präsent und hat mehr oder weniger starke Auswirkungen auf jeden von uns.

Doch es grassiert noch eine andere Krankheit und das schon über Jahrhunderte, eine Einstellung, die Menschen das Leben kostet. Es ist der Rassismus. Er ist genauso aktuell wie Corona und hat ebenfalls seine Opfer zu verzeichnen.

Vor einem Jahr (Mai 2020):

Ich sitze  zu Hause, die Empfehlungen des social-distancing im Hinterkopf. Ich habe mir eine Blase erschaffen, die zunächst noch heil ist. Eine kleine heile Welt, hier bei mir zu Hause. Ich öffne Instagram und sehe, wie Sänger von zu Hause musizieren, Stars ihre Haustiere in die Linse halten oder meditieren, um sich selbst zu finden und wie Livestreams tausendfach geklickt werden. Ich sehe TikToks, Corona – Memes, Diskussionen über Schönheitsoperationen, Fan-Accounts, die für ihre liebsten Stars aufwendigste Edits posten, einen Oliver Pocher, der sich über „Influencer“ aufregt und mittendrin in dem Meer aus Videos, Fotos und Livestreams – ein Video.

Ein Video datiert auf den 25. Mai 2020. Ein Video, das einen US-Amerikanischen Polizisten in Minneapolis (USA) zeigt, der einen schwarzen, unbewaffneten Mann mit seinem Knie auf den Boden drückt. Das Knie des Polizisten ruht im Nacken des Mannes, der unter ihm keucht und nach Luft ringt. „Please, please I can’t breathe. My stomach hurts. My neck hurts. Everything hurts. They’re going to kill me“[Bitte, Bitte, ich kann nicht atmen. Mein Bauch tut weh. Mein Nacken tut weh. Alles tut weh. Sie werden mich töten]. Passanten versuchen mit den Polizisten zu diskutieren. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Nase des Mannes blutet.

Der Polizist bewegt sich aber nicht von der Stelle, er scheint  sich seinem Vorgehen sehr bewusst zu sein. „He can’t move. He stops breathing“ [Er kann sich nicht bewegen. Er hört auf zu Atmen]. Drei weitere Polizisten sehen zu und unternehmen nichts. Der schwarze Mann wimmert und wiederholt immer wieder: “I can’t breath, I can’t breath“ [Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht atmen]. Einer der Passanten ruft „He is enyoing this“ und wirft damit dem Officer vor, er genieße es George Floyd die Luft abzuschneiden. Und immer noch stehen die Kollegen des Polizisten daneben und tun nichts. Irgendwann verliert der Mann das Bewusstsein.

Der Name des Mannes ist George Floyd, war George Floyd. Nachdem der Officer ihm ungefähr 8 Minuten die Luft abgedrückt hat, verliert er das Bewusstsein und erlangt es später auch nicht wieder. George Floyd ist tot.

Portrait George Floyds im Berliner Mauerpark (Creative Common)

Ich tauche tiefer ein und gehe auf den Hashtag #justiceforgeorgefloyd; es taucht ein weiteres Video auf. Zu sehen sind wütende Menschen, die vor dem Haus des Polizisten stehen. „Justice for George Floyd“ [Gerechtigkeit für George Floyd], wird gerufen. Die Frau hinter der Kamera läuft an einer Reihe von 75 Polizisten vorbei, die zum Schutz dieses einen Polizisten eine Mauer vor seinem Haus gebildet haben. Dabei sagt sie an den Zuschauer gerichtet: “Look how f****** many people are protecting this killers house“. Die Menschen sind wütend. Sie sind nicht mehr länger still. Sie machen ihrem Ärger Luft.

Ein weiteres Video taucht auf. Eine schwarze Frau, die mit wutverzehrtem Gesicht erklärt, dass sie es satt hat, friedlich zu sein. Sie hat zwei Brüder durch Polizeigewalt verloren. Ich klicke auf den nächsten Beitrag und sehe einen schwarzen Jungen, der über seine Verzweiflung singt. „I just want to live“, singt er. Ein anderer  rappt über das Leben als schwarzer Mann in den USA. Und es geht endlos so weiter. Mitleidsbekundungen, wütende Ansprachen, Beiträge mit der Bildunterschrift „Black Lives Matter“, pragmatische Hinweise zum Unterzeichnen von Petitionen und immer so weiter.

Das Internet ist in Aufruhr. Je weiter ich scrolle, desto mehr verabschiedet sich die heile Welt der Blase, die ich mir aufgebaut habe. Die Realität hat das Ruder wieder in die Hand genommen.

 

Racism is not getting worse, it’s getting filmed –Will Smith

[Rassismus wird nicht schlimmer, es wird gefilmt]

 

Heute (Mai 2021):

Heute jährt sich der Todestag von George Floyd. Seit diesem Tag ist viel passiert. George Floyds Tod war der Auslöser weltweiter Massenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Dabei kam es sogar teilweise zu Ausschreitungen. Es war als würden die Menschen endlich wachgerüttelt und für ein Thema sensibilisiert werden, dass schon seit Jahrhunderten ein riesiges Problem in unserer Gesellschaft darstellt.

Viele Menschen, die mit der Thematik Rassismus und Polizeigewalt wenig zu tun hatten, weil sie selbst davon nicht betroffen sind, waren gezwungen zuzuhören.

BLM-Protest in Paris, Juni 2020
(Thomas de Luze via Unsplash)

Das „Black Lives Matter“- Movement, welches ursprünglich im Jahr 2013 begann, bekam im Zuge dieses Vorfalls eine vorher noch nie so groß gewesene Aufmerksamkeit. Der Zuwachs war enorm. Es tauchten immer mehr Videos von ähnlichen Gewalttaten auf und immer mehr Menschen teilten ihre Erfahrungen, weil ihnen endlich zugehört wurde. Man sollte die Namen der Opfer  nennen und nie vergessen. Das war eine der vielen Botschaften die, diese Menschen verbreiteten. 

Aber was hat sich im Fall George Floyd getan und wie sieht es heute mit dem „Black Lives Matter“-Movement aus?

Im Fall George Floyd kam es nach hohem gesellschaftlichen und medialen Druck im April 2021 zu einem Schuldspruch des Ex-Polizisten Derek Chauvin (dem Mörder von George Floyd). Allgemein ist ein solches Urteil bei Fällen von Polizeigewalt aber leider eher selten. Das Strafmaß ist bis heute noch nicht bekannt und wird voraussichtlich am 16. Juni verkündet. Den drei ebenfalls anwesenden Polizisten soll 2022 wegen Beihilfe der Prozess gemacht werden.

Des Weiteren wurden die Angehörigen von George Floyd von dem neuen US- Präsident Joe Biden ins Oval Office eingeladen. Mit dieser Geste grenzt sich dieser klar von seinem Vorgänger Donald Trump ab. Außerdem  wird zurzeit über ein nach George Floyd benanntes Polizeireform-Gesetzt in den USA verhandelt. Dieses Gesetz würde unter anderem eingeschränkte Immunität von Polizisten und eine nationale Datenbank für polizeiliches Fehlverhalten beinhalten. Für die endgültige Verabschiedung dieses Gesetzes werden aber sowohl Stimmen der Demokraten als auch der Republikaner benötigt.

Das „Black Lives Matter“- Movement hat zwar durch den Vorfall unglaublich viel Aufmerksamkeit,  Anerkennung und Zuspruch erhalten. Trotzdem ist diese Aufmerksamkeit und „Wokeness“ mit der Zeit wieder weniger geworden. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Die meisten Menschen sind schon längst wieder in ihrem gewohnten Lebensablauf zurückgekehrt. Der  damals herrschenden „Ausnahmezustand“ ist vorbei. Der „erste Schock“ wurde sozusagen „überwunden“. Es gibt keine Massenproteste mehr und andere politische Themen sind in der Vordergrund gerückt.

Außerdem bekam die Bewegung vor einem Jahr vor allem auch einen großen Zuwachs an jungen weißen Menschen. Diese werden aber mittlerweile nicht mehr täglich mit der Thematik Rassismus konfrontiert, da sie ihn nicht Tag für Tag erleben müssen. Und da die große Medienwelle zu diesem Thema vorbei oder zumindest kleiner geworden ist, hat sich bei vielen Menschen der Fokus verschoben. Zu dem kommt, dass die Bewegung durch konservative, rassistische Propaganda teilweise in ein schlechtes Licht gerückt wurde.

Klar ist auf jeden Fall, dass der Tod von George Floyd ein Moment war, der viele Steine ins Rollen gebracht hat. Und das weltweit. Klar ist aber auch, dass das Problem Rassismus heute immer noch so aktuell wie vor einem Jahr ist.