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“Antirassismus geht uns alle an”| Interview mit Filiz Polat

Filiz Polat – Mitglied des Bundestags

Filiz Polat ist Abgeordnete des Deutschen Bundestags für die Partei Bündnis 90/Die Grünen. Sie kommt aus Niedersachsen und vertritt ihre Fraktion im Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat und stellvertretend im Ausschuss für Menschenrechte. Sie ist studierte Volkswirtin und Sprecherin der grünen Fraktion für Migration und Integration.

qurt.news: Was schlagen Sie vor, um Antirassismus in Schule und Alltag prominenter zu machen?

Filiz Polat: Antirassismus geht uns alle an, trifft aber nicht jeden gleichermaßen. Es ist ganz wichtig, dass das jede und jeder von uns als Leitsatz verinnerlicht und das wir uns alle unserer Privilegien bewusst sind. Das gilt, gerade wenn wir nicht zu einer Minderheit gehören die von Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus betroffen ist. Zu einer konsequenten antirassistischen Politik gehört einerseits, Menschen, die diskriminiert werden, zu schützen. Das ist Aufgabe des Staates und der Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite bedeutet es, zu erkennen, dass Rassismus in unserer Gesellschaft schon lange tief verwurzelt ist und es dadurch für viele Menschen Benachteiligungen gibt, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ein Beispiel: über Jahrzehnte wurden Männer, die Männer geliebt haben, oder Frauen, die Frauen geliebt haben, strafrechtlich verfolgt. In Deutschland war das bis weit ins 20. Jahrhundert hinein so und das hat natürlich zu Nachteilen geführt, auch am Arbeitsmarkt.. Es gibt einfach strukturelle Benachteiligungen und die gilt es auszugleichen. Das bedeutet Platz zu machen, damit die Vielfalt in unserer Gesellschaft auch in den Führungsetagen sichtbar wird. Ein ganz wichtiger Baustein ist die Schule. Hier gilt es das alles zu thematisieren und vor allem mehr über Rassismus und die dahinter stehenden Strukturen zu lernen. Ein Beispiel ist der Kolonialismus, der bis heute wirkt. Gleichzeitig geht es darum, Vielfalt sichtbar zu machen. Unsere Schulbücher sind doch sehr weiß und zeigen nicht die Realität, wie unsere Schülerschaft zusammengesetzt ist oder wie bunt mittlerweile Familien sind.

qurt.news: Frau Polat, wir führen in Deutschland ja nicht zum ersten Mal eine öffentliche Debatte über Rassismus in der Gesellschaft. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Qualität dieser Debatte verändert?

Filiz Polat: Das ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist doch eine andere Qualität, weil wir jetzt wirklich auch über Rassismus reden und nicht nur über Rechtsextremismus. Früher lag der Fokus sehr stark auf Rechtsextremismus und damit einhergehender Gewalt. Heute sprechen wir auch durch die Black-Lives-Matter-Bewegung mehr über das Thema Rassismus, was Rassismus heißt, in all seinen Facetten und wie dieser in unseren Institutionen und unserer Gesellschaft strukturell verankert ist. Viele Menschen fangen an sich dabei selbst zu reflektieren und über ihre Privilegien nachzudenken. Natürlich nicht alle, denn wenn ich selbst von Rassismus nicht betroffen bin und es mir gut geht, zumindest was das Thema anbetrifft, warum soll ich mich damit auseinandersetzen? Das ist erstmal der bequemere Weg, doch mittlerweile fängt zumindest ein großer Teil der Bevölkerung an, darüber nachzudenken: Wie geht es Menschen in Deutschland, wenn sie von Rassismus betroffen sind? Und was hat das mit mir zu tun? Ich glaube diese Qualität ist schon anders. Andererseits haben wir, auch durch die rechtsextreme Partei, die mittlerweile in den Parlamenten in Bund und Land sitzt, sehr krasse Debatten. Sie werden sehr emotional, sehr populistisch und mit Worten geführt, die versuchen nationalsozialistische Sprache wieder hoffähig zu machen. Damit wird  die Debatte insofern vergiftet, dass vermeintlich die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, wenn man bestimmte Wörter heute nicht benutzen sollte, wie zum Beispiel das N-Wort. Dieser Rechtspopulismus ist rassistisch und eine Gefahr für unsere Demokratie und unser Zusammenleben.

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qurt.news: Es wird ja im politischen Diskurs grade wieder viel über Rassismus und Fremdenhass gesprochen. Wie kriegt man die Politik dazu, dass dort besprochene auch wirklich umzusetzen?

Filiz Polat: Wir haben jetzt auf Bundesebene gerade nach den Anschlägen in Halle und Hanau insofern Bewegung in die politische Auseinandersetzung bekommen, als das auf Druck der Zivilgesellschaft ein sogenannter Kabinettsausschuss eingerichtet wurde, wo sich verschiedene Ministerinnen und Minister zusammengesetzt haben, um ein Maßnahmenpaket gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu erarbeiten. Das ist im November verabschiedet worden und wird jetzt gerade umgesetzt. Meine Hauptkritik an diesem Maßnahmenpaket ist, dass die Bundesregierung nicht selbst reflektiert, wo in den eigenen Strukturen Rassismus zu bekämpfen ist. Eine wichtige Forderung von Menschen, die Diskriminierung erfahren, ist zuzugeben, dass auch der Staat diskriminiert. Schwarze Menschen berichten vom sogenannten racial profiling. Wenn man Schwarze Menschen in Deutschland trifft,  sagen sie: „Es gibt keine Woche, wo ich nicht einmal am Bahnhof von der Polizei kontrolliert werde“. Jede*r, der*die nicht schwarz ist, kann hingegen an einer Hand abzählen, wie oft er*sie in einem Jahr anlasslos von der Polizei kontrolliert wird. Es muss den Staat interessieren, die entsprechenden Ursachen zu eruieren. Das ist ja kein Zufall, was steckt dahinter? Und dem verweigert sich die Bundesregierung auch mit diesem Maßnahmenpaket. Was mir besonders wichtig ist: Wir haben ja einen Diskriminierungsschutz in Deutschland, verankert im Grundgesetz in Artikel 3. Ausdruck findet dieser im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Wenn ich diskriminiert werde, dann kann ich das zivilrechtlich geltend machen. Dieses Antidiskriminierungsgesetz ist bis heute viel zu schwach, weil es zum Beispiel staatliche Diskriminierung nicht beinhaltet. Das müsste man dringend ändern, auch aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen Deutschlands. Dem ist aber die Bundesregierung genauso wenig nachgekommen, das heißt überall, wo es um wirklich wichtige gesetzliche Maßnahmen für einen stärkeren Diskriminierungsschutz geht, bleibt die Bundesregierung tatenlos. Immerhin macht sie jetzt einen großen Schritt in Richtung Forschung. Wir haben sehr wenig Daten darüber, wie Rassismus wirkt und wie er historisch bedingt ist. Da investiert die Bundesregierung ein wenig Geld, um hier die Datenlage zu verbessern. Das ist gut.

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qurt.news: Angesichts des wieder aufflammenden Konflikts im Nahen Osten kam es in den vergangenen Wochen zu antisemitischen Aussagen und Taten im Rahmen pro-palästinischer Demonstrationen. Was kann die Politik und was können wir als Schüler*innen machen, um dem entgegenzuwirken?

Filiz Polat: Der Antisemitismus in Deutschland hat viele Gesichter. Er drückt sich in verschiedenen Formen aus, ganz wichtig ist, dass man sich als Schüler*in mit Antisemitismus und den Formen von Antisemitismus auseinandersetzt. Natürlich auch wenn es darum geht, die außenpolitische Dimension, hier den Nahostkonflikt, im Unterricht zu thematisieren. Es ist wichtig, dass man die Mechanismen lernt und den  Unterschied erkennt zwischen Israel-Kritik und ganz klassischem Antisemitismus. Wenn zum Beispiel die doppelte-Schuld-Frage eine Rolle spielt, also das “das was den Juden angetan wurde, jetzt die Juden mit den Palästinensern antun”, dann ist das Antisemitismus. Es ist wichtig, dass man das Schüler*innen aber auch Erwachsenen beibringt. Gerade wenn man in der Schülerschaft junge Menschen hat, die neu zugewandert sind aus einem Land, in dem ein ganz anderer historischer Hintergrund das Gespräch über die Shoah (Holocaust) bestimmt. Es wichtig, die verschiedenen Perspektiven einfließen zu lassen und auch vielleicht mal forsch zu diskutieren. Erklärungen helfen bei der Einordnung und wenn folglich antisemitische Sätze fallen, müssen diese ganz klar verurteilt werden.

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qurt.news: Haben Sie konkrete Tipps, wie wir als überwiegend weiße Jugendliche bessere Verbündete im Kampf gegen Rassismus werden können?

Filiz Polat: Im Grunde geht es darum, Allianzen zu bilden. Rassismus und Sexismus sind oft zwei Seiten einer Medaille. Wenn man Feministin ist, dann ist es wichtig, dass Männer sich selbst reflektieren und an der Seite von Frauen stehen. Das kann man zum Beispiel bei den Debatten, dass Frauen abends oftmals Angst haben, alleine nach Hause zu gehen. Ein erster Schritt wäre, dass Männer sich mal Gedanken machen sollen, warum das so ist. Und sich auch mit Frauen darüber austauschen, was das bedeutet, mit diesem Grundgefühl aufzuwachsen und das schon als selbstverständlich anzusehen. Deswegen ist es wichtig zu schauen, dass man überall, wo es um Diskriminierung geht, Allianzen schmiedet und im Gespräch bleibt. Das gilt gerade für die Menschen, die in dem Fall nicht von dieser Diskriminierung betroffen sind. Ich persönlich setze mich jetzt zum Beispiel sehr intensiv mit Inklusion von Menschen mit Behinderung auseinander. Was kann ich tun, um inklusiver zu denken und zu handeln? Man kann sich nicht ständig damit beschäftigen, aber man kann sich das für sich selbst vornehmen oder eben gemeinsam mit Freund*innen Verbündete suchen. Und das in seinem eigenen Umfeld oder an der eigenen Schule thematisieren. Es ist für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, bestärkend, wenn nicht nur sie selbst die Themen ansprechen. Wenn ich jetzt als eine Frau mit türkischen Wurzeln in der Klasse angefeindet werde, möchte ich das nicht thematisieren müssen, sondern ich freue mich, wenn das meine Klassenkameradin anspricht.

qurt.news: Wie können junge Menschen politisch aktiv werden? Wie kann man auch wirklich was erreichen? Das Wahlrecht bekommen wir ja erst ab 18 und jugendpolitische Bewegungen wie „Fridays for Future“ werden meist belächelt.

Filiz Polat: Ich bin natürlich auch für die Absenkung des Wahlalters. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das wirkungslos ist, was diese Generation schon erreicht hat. Ich selber habe ja auch angefangen politisch aktiv zu werden, noch bevor ich volljährig geworden bin. Mich hat motiviert, zu sehen, dass das, was ich angesprochen habe gehört wird und umgesetzt wird. Manchmal dauert es zwar länger und manchmal ist es wirklich ein Bohren dicker Bretter. Gerade als junger Mensch ist man oft ungeduldig, man will schnell was erreichen und das ist auch gut so. Und wenn man sich zusammenschließt, kann man auch richtig was erreichen, Greta Thunberg ist hierfür nur eines von vielen Beispielen. Wichtig ist, sich ein konkretes Projekt vorzunehmen. Nehmen wir das von mir angesprochene Beispiel Schule und Menschen mit Behinderung. Wie kann eine Schule inklusiv aussehen? Was sind die wichtigsten Sachen, die man vielleicht sogar ganz schnell umsetzen kann und was dauert vielleicht etwas länger? Oder eben beim Thema Rassismus. Da kann man sich eine Woche auszusuchen und eine Projektwoche veranstalten und dann dieses Thema auch mit Menschen von außen bearbeiten. Schule soll ja auch ein Raum sein, der offen ist und Reflektion von außen einholt. Spannend wäre auch, ein Schulbuch komplett umzugestalten. Wie kann eigentlich ein Schulbuch im 21. Jahrhundert aussehen? Wie kann es die Gesellschaft in seiner Realität der spiegeln? Jede*r kann was dazu beitragen, jede*r kann aktiv werden.

qurt.news: Was machen die Grünen, um Diskriminierung jeder Art in der Gesellschaft einzuschränken? Gibt es konkrete Ziele?

Filiz Polat: Wir haben drei zentrale Säulen, wie wir auf strukturellen Rassismus strukturelle Antworten geben. Wir wollen ein scharfes Schwert im Kampf gegen Diskriminierung und deswegen fordern wir ein Bundesantidiskriminierungsgesetz, was keine Ausnahmetatbestände, wie im aktuellen Gesetz vorgesehen, zulässt. Zum anderen ist es beim Diskriminierungsschutz im Moment so, dass man nur gegen private Diskriminierung vorgehen kann, aber nicht, wenn der Staat, also Behörden, diskriminierend handeln. Das ist eine der wesentlichen Änderungen, die wir fordern. Wichtig dabei ist auch, dass man in ganz Deutschland ein Netzwerk von Beratungsstellen hat. Die meisten Menschen wissen nicht, wann sie und wie sie Antidiskriminierung geltend machen können, deshalb sind Ansprechpartner*innen vor Ort besonders wichtig. Damit kommen wir schon zur Zivilgesellschaft. Sie ist ein ganz, ganz wichtiger Partner für den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus, aber auch für großflächige politische Bildung. Um die Zivilgesellschaft zu stärken, fordern wir ein Demokratiefördergesetz, das heißt, dass man sich nicht von einem Jahr zum nächsten um Projektgelder bewerben muss und sich von Projekt zu Projekt hangelt, sondern dass man wirklich strukturell gefördert wird und verlässliche Strukturen schafft. Der dritte große Baustein sind Repräsentation und Teilhabe. Dafür wollen wir erstmalig ein Gesetz auf den Weg bringen, welches positive Fördermaßnahmen für Menschen, die strukturell benachteiligt werden, ermöglicht. Denn eine chancengerechte Gesellschaft gestalten wir nur, wenn alle gleichberechtigt am Tisch sitzen können.

qurt.news: Vielen Dank.

 

Das Gespräch führte Paula Moritz.

 

Heile Welt?

Ein Jahr nach der Ermordung George Floyds blicke ich zurück auf das was war und das was ist.

Es grassiert eine Krankheit. Eine Krankheit, die die ganze Welt in Atem hält. Corona ist präsent und hat mehr oder weniger starke Auswirkungen auf jeden von uns.

Doch es grassiert noch eine andere Krankheit und das schon über Jahrhunderte, eine Einstellung, die Menschen das Leben kostet. Es ist der Rassismus. Er ist genauso aktuell wie Corona und hat ebenfalls seine Opfer zu verzeichnen.

Vor einem Jahr (Mai 2020):

Ich sitze  zu Hause, die Empfehlungen des social-distancing im Hinterkopf. Ich habe mir eine Blase erschaffen, die zunächst noch heil ist. Eine kleine heile Welt, hier bei mir zu Hause. Ich öffne Instagram und sehe, wie Sänger von zu Hause musizieren, Stars ihre Haustiere in die Linse halten oder meditieren, um sich selbst zu finden und wie Livestreams tausendfach geklickt werden. Ich sehe TikToks, Corona – Memes, Diskussionen über Schönheitsoperationen, Fan-Accounts, die für ihre liebsten Stars aufwendigste Edits posten, einen Oliver Pocher, der sich über „Influencer“ aufregt und mittendrin in dem Meer aus Videos, Fotos und Livestreams – ein Video.

Ein Video datiert auf den 25. Mai 2020. Ein Video, das einen US-Amerikanischen Polizisten in Minneapolis (USA) zeigt, der einen schwarzen, unbewaffneten Mann mit seinem Knie auf den Boden drückt. Das Knie des Polizisten ruht im Nacken des Mannes, der unter ihm keucht und nach Luft ringt. „Please, please I can’t breathe. My stomach hurts. My neck hurts. Everything hurts. They’re going to kill me“[Bitte, Bitte, ich kann nicht atmen. Mein Bauch tut weh. Mein Nacken tut weh. Alles tut weh. Sie werden mich töten]. Passanten versuchen mit den Polizisten zu diskutieren. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Nase des Mannes blutet.

Der Polizist bewegt sich aber nicht von der Stelle, er scheint  sich seinem Vorgehen sehr bewusst zu sein. „He can’t move. He stops breathing“ [Er kann sich nicht bewegen. Er hört auf zu Atmen]. Drei weitere Polizisten sehen zu und unternehmen nichts. Der schwarze Mann wimmert und wiederholt immer wieder: “I can’t breath, I can’t breath“ [Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht atmen]. Einer der Passanten ruft „He is enyoing this“ und wirft damit dem Officer vor, er genieße es George Floyd die Luft abzuschneiden. Und immer noch stehen die Kollegen des Polizisten daneben und tun nichts. Irgendwann verliert der Mann das Bewusstsein.

Der Name des Mannes ist George Floyd, war George Floyd. Nachdem der Officer ihm ungefähr 8 Minuten die Luft abgedrückt hat, verliert er das Bewusstsein und erlangt es später auch nicht wieder. George Floyd ist tot.

Portrait George Floyds im Berliner Mauerpark (Creative Common)

Ich tauche tiefer ein und gehe auf den Hashtag #justiceforgeorgefloyd; es taucht ein weiteres Video auf. Zu sehen sind wütende Menschen, die vor dem Haus des Polizisten stehen. „Justice for George Floyd“ [Gerechtigkeit für George Floyd], wird gerufen. Die Frau hinter der Kamera läuft an einer Reihe von 75 Polizisten vorbei, die zum Schutz dieses einen Polizisten eine Mauer vor seinem Haus gebildet haben. Dabei sagt sie an den Zuschauer gerichtet: “Look how f****** many people are protecting this killers house“. Die Menschen sind wütend. Sie sind nicht mehr länger still. Sie machen ihrem Ärger Luft.

Ein weiteres Video taucht auf. Eine schwarze Frau, die mit wutverzehrtem Gesicht erklärt, dass sie es satt hat, friedlich zu sein. Sie hat zwei Brüder durch Polizeigewalt verloren. Ich klicke auf den nächsten Beitrag und sehe einen schwarzen Jungen, der über seine Verzweiflung singt. „I just want to live“, singt er. Ein anderer  rappt über das Leben als schwarzer Mann in den USA. Und es geht endlos so weiter. Mitleidsbekundungen, wütende Ansprachen, Beiträge mit der Bildunterschrift „Black Lives Matter“, pragmatische Hinweise zum Unterzeichnen von Petitionen und immer so weiter.

Das Internet ist in Aufruhr. Je weiter ich scrolle, desto mehr verabschiedet sich die heile Welt der Blase, die ich mir aufgebaut habe. Die Realität hat das Ruder wieder in die Hand genommen.

 

Racism is not getting worse, it’s getting filmed –Will Smith

[Rassismus wird nicht schlimmer, es wird gefilmt]

 

Heute (Mai 2021):

Heute jährt sich der Todestag von George Floyd. Seit diesem Tag ist viel passiert. George Floyds Tod war der Auslöser weltweiter Massenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Dabei kam es sogar teilweise zu Ausschreitungen. Es war als würden die Menschen endlich wachgerüttelt und für ein Thema sensibilisiert werden, dass schon seit Jahrhunderten ein riesiges Problem in unserer Gesellschaft darstellt.

Viele Menschen, die mit der Thematik Rassismus und Polizeigewalt wenig zu tun hatten, weil sie selbst davon nicht betroffen sind, waren gezwungen zuzuhören.

BLM-Protest in Paris, Juni 2020
(Thomas de Luze via Unsplash)

Das „Black Lives Matter“- Movement, welches ursprünglich im Jahr 2013 begann, bekam im Zuge dieses Vorfalls eine vorher noch nie so groß gewesene Aufmerksamkeit. Der Zuwachs war enorm. Es tauchten immer mehr Videos von ähnlichen Gewalttaten auf und immer mehr Menschen teilten ihre Erfahrungen, weil ihnen endlich zugehört wurde. Man sollte die Namen der Opfer  nennen und nie vergessen. Das war eine der vielen Botschaften die, diese Menschen verbreiteten. 

Aber was hat sich im Fall George Floyd getan und wie sieht es heute mit dem „Black Lives Matter“-Movement aus?

Im Fall George Floyd kam es nach hohem gesellschaftlichen und medialen Druck im April 2021 zu einem Schuldspruch des Ex-Polizisten Derek Chauvin (dem Mörder von George Floyd). Allgemein ist ein solches Urteil bei Fällen von Polizeigewalt aber leider eher selten. Das Strafmaß ist bis heute noch nicht bekannt und wird voraussichtlich am 16. Juni verkündet. Den drei ebenfalls anwesenden Polizisten soll 2022 wegen Beihilfe der Prozess gemacht werden.

Des Weiteren wurden die Angehörigen von George Floyd von dem neuen US- Präsident Joe Biden ins Oval Office eingeladen. Mit dieser Geste grenzt sich dieser klar von seinem Vorgänger Donald Trump ab. Außerdem  wird zurzeit über ein nach George Floyd benanntes Polizeireform-Gesetzt in den USA verhandelt. Dieses Gesetz würde unter anderem eingeschränkte Immunität von Polizisten und eine nationale Datenbank für polizeiliches Fehlverhalten beinhalten. Für die endgültige Verabschiedung dieses Gesetzes werden aber sowohl Stimmen der Demokraten als auch der Republikaner benötigt.

Das „Black Lives Matter“- Movement hat zwar durch den Vorfall unglaublich viel Aufmerksamkeit,  Anerkennung und Zuspruch erhalten. Trotzdem ist diese Aufmerksamkeit und „Wokeness“ mit der Zeit wieder weniger geworden. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Die meisten Menschen sind schon längst wieder in ihrem gewohnten Lebensablauf zurückgekehrt. Der  damals herrschenden „Ausnahmezustand“ ist vorbei. Der „erste Schock“ wurde sozusagen „überwunden“. Es gibt keine Massenproteste mehr und andere politische Themen sind in der Vordergrund gerückt.

Außerdem bekam die Bewegung vor einem Jahr vor allem auch einen großen Zuwachs an jungen weißen Menschen. Diese werden aber mittlerweile nicht mehr täglich mit der Thematik Rassismus konfrontiert, da sie ihn nicht Tag für Tag erleben müssen. Und da die große Medienwelle zu diesem Thema vorbei oder zumindest kleiner geworden ist, hat sich bei vielen Menschen der Fokus verschoben. Zu dem kommt, dass die Bewegung durch konservative, rassistische Propaganda teilweise in ein schlechtes Licht gerückt wurde.

Klar ist auf jeden Fall, dass der Tod von George Floyd ein Moment war, der viele Steine ins Rollen gebracht hat. Und das weltweit. Klar ist aber auch, dass das Problem Rassismus heute immer noch so aktuell wie vor einem Jahr ist.

Neulich in der Bahn

Ich saß neulich in der Bahn und da stieg ein dunkelheutiger Mann ein. Er setzte sich neben eine weiße Frau. Die schaute ganz angekelt und setzte sich weg.

Meiner Meinug nach ist das unmöglich, denn er ist doch auch nur ein Mensch. Was hat  er dieser Frau denn getan . Nur, weil dieser Mann einer andere Hautfarbe hat muss mann ihn doch nicht verachten. Was ich an dieser Situation allerdings gut fand war, dass alle die Frau anschauten und sie dadurch peinlich berührt war.

Also beurteilt nicht nach Kultur, Aussehen oder Religion, sondern nach Charakter.