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Auschwitz und moderne Menschenfeindlichkeit

In der letzten Woche war ich auf Klassenfahrt in Krakau, Polen. Im Zuge dieser Klassenfahrt besuchten wir das ehemalige Konzentrationslager und jetzige Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.

Eigentlich dachte ich, ich sei gut vorbereitet auf die Schrecken, die mich erwarten würden, hatte ich doch vor Jahren schon einmal ein früheres KZ besucht, jede Menge Holocaust-Literatur gelesen und mehrere Filme und Dokumentation zu dem Thema gesehen. Als ich dann aber mit der Grausamkeit der Vergangenheit unseres Landes konfrontiert werde, ist jeder nüchtern gelernte Fakt nebensächlich. Ich muss herausfinden, dass mich nichts und niemand auf den Anblick von Tausenden ausgestellten Kochgeschirren, (Kinder-) Schuhen, zerbrochenen Brillen und Kämmen, Koffern und Milliarden von verfilzten Haaren und die dahinter steckenden Wahrheiten vorbereiten kann. Die Trauer, die Verzweiflung und die Wut, die ich beim Anblick von Schlafbaracken, Gaskammern, Krematorien, der Selektionsrampe und Folterkammern empfinde, lässt sich nicht einmal annähernd in Worte fassen; ich möchte schreien. Ein Frage, die mir immer wieder durch den Kopf schwirrt, ist, wie so etwas passieren konnte. Ich meine, rational gesehen weiß ich um die Unzufriedenheit des deutschen Volks nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, wie dadurch die radikalen Ansichten der NSDAP an Zustimmung gewinnen konnten und salonfähig wurden und wie Adolf Hitler schließlich eine Demokratie in eine Diktatur umformte und Millionen Unschuldige auf Grund ihrer Religion und Ethnie sadistisch missbrauchte, quälte, erniedrigte, folterte, ausnutzte und schließlich abschlachten ließ. Aber aus emotionaler, menschlicher Sicht kann und will ich es einfach nicht begreifen. Wie kommt man dazu, einer solch menschenfeindlichen Ideologie zu folgen? Was bewegt Menschen dazu, anderen Menschen diese barbarischen Dinge anzutun? Wie konnten Millionen von Menschen einfach wegsehen und heile Welt spielen? Und wie konnten die Täter nachts auch nur ein Auge zumachen? Gehirnwäsche? Klar, aber das kann doch nicht alles sein, oder?! Wenn ich den Blick über die Gesichter meiner MitschülerInnen schweifen lasse, erkenne ich in ihren Mienen genau die gleiche Angst, die gleiche Trauer, den gleichen Schrecken, die gleiche Wut, wie auch ich sie empfinde. Manchen laufen die Tränen über die Wangen, andere wirken leicht apathisch, ihr Blick ist leer. Selbst die größten Witzbolde und Störenfriede sind verstummt und versuchen das Gesehene und Gehörte zu bewältigen. Mehrere SchülerInnen müssen die Führung abbrechen, weil sie vor Schluchzen nicht mehr aufrecht stehen können.

Fotos: Antonia Barone

Nach diesen aufwühlenden Erlebnissen will sich die ausgelassene Klassenfahrtsstimmung erst einmal nicht wieder einstellen. Wir sind emotional erschöpft und in unsere Gedanken vertieft. Ich persönlich grüble darüber nach, ob so etwas nochmal vorkommen kann und wird. Und wieder sind da unbegreiflich viele Fragen auf die ich keine Antwort zu geben vermag. Wie kann bei so einer tragischen Vergangenheit die rechte und rechtsextreme Szene in Deutschland so viel Zulauf haben? Wie kommt man zu einem rassistischen, antisemitischen und nationalsozialistischen Meinungsbild? Besonders die aktuellen Ereignisse in Chemnitz und Co. lösen bei mir den dringenden Reiz aus, meinen Kopf (und den einiger Mitmenschen) mit Wucht gegen die nächste Wand zu schlagen. Dennoch ist Gewalt keine Lösung, schon klar. Aber was IST die Lösung? Ich habe das Gefühl, dass Politik und Polizei bei der Bekämpfung von Antisemitismus und genereller Fremdenfeindlichkeit gegen eine taube Wand sprechen und rennen. Wie kann man diese Wand einreißen? Nicht in dem man mit einer Irgendwer-wird-schon-irgendwann-mal-etwas-sagen-Mentalität zuhause auf der Couch hängt und sich in Selbstmitleid suhlt, jedenfalls. Aber vielleicht bin ich es auch, die hier politisch in die falsche Richtung denkt, muss es doch einen triftigen Grund geben, dass tausende Menschen AfD und Pegida hinterher eifern und deren aggressive Parolen mitgrölen, oder?

Alles in allem hat dieser Ausflug in den wohl schrecklichsten Teil der deutschen Vergangenheit und die anschließende gedankliche Nachbereitung meine realitätsferne Alles-wird-gut-und-die-Welt-ist-heile-Blase deutlich verkleinert und mich zu dem Schluss gebracht, dass es jetzt ganz besonders wichtig ist, den Hintern hoch zu bekommen und endlich mal den Mund aufzumachen, weil das nämlich leider niemand für uns übernehmen wird. Dieser Text ist mein erster Beitrag zum politischen „den-Hintern-hochkriegen-und-die-Meinung-sagen“, was ist deiner?