“Unsere ganze Gesellschaft ist so sexistisch”

Jetzt kommt der zweite Teil von meinem Interview mit Lina Burghausen.

Im ersten Beitrag zu 365 Female MCs haben Sie geschrieben: „Frauen im Rap, Frauen am Mic. Ein Thema, das auch 2018 viel diskutiert wird.“. Würden Sie das Gleiche auch 2020 schreiben?

Ja, auf jeden Fall. Es wird immer noch viel diskutiert und viel darüber geredet, aber es hat sich auch etwas getan. Es hat sich jedoch noch nicht so viel getan, so dass ich sagen würde, ich müsste so eine Aktion heute nicht mehr starten, das ist definitiv nicht der Fall. Aber was sich verändert hat, ist ein stückweit, dass Frauen auf jeden Fall im Hip-Hop mehr wahrgenommen werden.

Das liegt sicher zum Teil an meiner Aktion, das liegt aber auch daran, dass es inzwischen auch mehr erfolgreiche Rapperinnen gibt. In den letzten 2 Jahren sind Loredana und Juju auf 1 gegangen und es gibt echt viele Female-Rap-Alben, sowohl in Deutschland, in den USA, einfach in der ganzen Welt. Da hat sich auf jeden Fall echt noch mal was getan, was die Legitimation von Frauen am Mic anbelangt, dass sie erfolgreicher und sichtbarer geworden sind […].

Zum Beispiel haben größere Festivals gemerkt, dass man dort was machen muss, dass man auch irgendwie eine Verantwortung hat und nicht nur dieselben 20 Kerle buchen kann. Von daher würde ich sagen, es gibt eine Veränderung, aber wahrscheinlich müsste ich es heute nochmal genauso schreiben, weil wir definitiv noch einen langen Weg vor uns haben.

 

Kann man den ganzen Deutschrap so pauschalisieren und sagen, er sei sexistisch, oder sollte man das differenzieren?

Man kann Rap und Hip-Hop nie pauschalisieren „never“. Hip-Hop und Rap sind so divers und auch Deutschrap ist so divers, dass ich nie sagen würde, Rap ist per se sexistisch. Es gibt aber natürlich weite Teile im deutschen Hip-Hop und im deutschen Rap, die sexistisch sind. Entweder durch Inhalte oder Verhaltensweisen anderen männlichen oder vor allem weiblichen Menschen gegenüber, wo es auf jeden Fall ein Thema ist, das würde ich unterschreiben.

Aber was mir auch immer wichtig ist zu sagen: das ist ein Problem im Hip-Hop, aber kein explizites Problem im Hip-Hop. Unsere ganze Gesellschaft ist so sexistisch.

Ich finde es immer schade, wenn mit dem Finger auf den Deutsch-Rap gezeigt wird: ihr seid alle voll sexistisch, und dann laufen die Leute bei einem Werbeplakat vorbei, wo eine halbnackte Frau zu sehen ist und das ist dann kein Problem. Ich finde, wir müssen Sexismus auch dort diskutieren und angehen. Oder da läuft auf Pro7 „Milf oder Missy“, wo auch Frauen objektifiziert werden, da sagt dann keiner was, aber im Rap ist es ein Problem. Das haut einfach nicht hin.

Deshalb finde ich es wichtig, dass sich Hip-Hop mehr reflektiert und auch innerhalb der Szene etwas gesagt wird, wenn es Sexismus gibt. Aber das einfach nur auf Hip-Hop zu beschränken […] ist auch Blödsinn.

 

Sie haben ja Ihr Label schon angesprochen. Wie ist die Idee zu einem Label nur für weibliche Künstlerinnen entstanden und wie haben Sie sie umgesetzt?

Das war so: ich habe die 365 Female MCs-Reihe im November 2018 gestartet. Ein Jahr später habe ich im September dafür den internationalen Musikjournalismuspreis erhalten, was ziemlich verrückt war. Das war in Hamburg beim Reeperbahn-Festival, da kam das Musiklabel PIAS auf mich zu […]. PIAS ist ein Independent Label, eins der größten der Welt, das kommt aus Belgien, ist aber auf der ganzen Welt aktiv […].

Die kamen auf mich zu und meinten: Hey Lina, wir verfolgen dein Projekt und wir wollten dich fragen, ob du nicht Bock hast etwas Gemeinsames aufzuziehen. Von denen kam die Idee für ein Label für explizit Female Hip-Hop. Ich habe dann erstmal darüber nachgedacht, wie das wirkt. Ich will halt nicht, dass es so wirkt wie die Paralympics für Frauen, wo man ein extra Label machen muss, weil sie sich in der normalen Musikindustrie nicht durchsetzen können. Das ist ja nicht Sinn und Zweck, sie sollen ja in der normalen Musikindustrie bestehen.

Was mich dann davon überzeugt hat, war, dass ich mit ganz vielen Rapperinnen Gespräche geführt habe und […] gehört habe, dass, wenn sie sich bei Labels oder bei Booking Agenturen vorgestellt haben, es dann immer hieß: ja, ist voll cool, was du da machst, aber wir haben schon eine Frau. Als könne man nur eine Frau haben und 15 männliche Rapper. Als gebe es nur die Quoten-Frau.

Was auch viele Rapperinnen erlebt haben, war, dass von ihnen erwartet wurde auf eine bestimmte Art und Weise Musik zu machen, besonders sexy und weiblich zu sein, halt eine bestimmte Nische zu bedienen. Und so konnten sie sich gar nicht entfalten wie ihre männlichen Kollegen.

Das Ding mit 365XX ist halt einfach, dass wir ein Label haben, wo das Geschlecht keine Rolle spielt, weil wir von Vornherein nur Frauen zeigen. Die dann halt machen können, was sie wollen und ihre künstlerische Freiheit haben und es wirklich einfach darum geht, dope Musik zu pushen, grandiosen Hip-Hop weiterzubringen und den Frauen eine Atmosphäre zu schaffen, wo sie sich save fühlen, ihre Musik machen können und wo wir einfach nichts anderes wollen als ihre reine künstlerische Vision. Das geht halt mit einem Label wie PIAS und damit bin ich richtig happy.

Wir haben das Ding im Februar angekündigt, haben jetzt das erste Signing, am Freitag kommt das erst release […]. Ich bin mega stolz auf die Künstlerin, auf das Signing und auch super gespannt, aber auch super übermüdet.

 

Was ist Ihre Aufgabe in diesem Label?

Als A&R bin ich die Person, die die Künstlerinnen auswählt, also ich höre ganz viele Demos […], wo dann unveröffentlichte Songs drauf sind. Diese höre ich mir an und entscheide dann, welche Künstlerin ich kennen lernen möchte und wen ich im Label unter Vertrag nehmen möchte. Das ist so der Hauptjob.

Dann nehme ich Kontakt zu den Künstlerinnen auf, treffe sie. Meist wird ganz lange verhandelt, bis man auf einen Nenner kommt und dann bin ich die kreative Ansprechpartnerin für die Musikerinnen, quasi die Person, wenn sie darüber sprechen wollen, wie sie sich künstlerisch weiterentwickeln wollen und wo die Reise hingehen soll. Ich versuche sie dabei zu supporten, so gut wie es geht.

Zudem bin ich mit meiner PR-Agentur „Mona-Lina“ für die Pressearbeit verantwortlich. Also wenn wir ein fertiges release […] haben, sorge ich dafür, dass HipHop-Medien wie rap.de, 16 Bars darauf aufmerksam werden. Das ist dann halt auch mein Job, den ich aber auch mit zwei fantastischen Team-Kolleginnen mache, die mich da unterstützen.

 

Was steht in der Zukunft noch so alles an?

Es geht natürlich weiter mit dem Blog, 365 Female MCs, da arbeiten inzwischen mehrere freie Autorinnen und Autoren und mehre Illustratorinnen mit. Da erscheint jetzt auch jeden Tag ein neues Portrait von einer neuen Rapperin, das kann man auch alles per Instagram und auf der Website verfolgen.

Mit dem Label geht es auch weiter, gerade arbeiten wir am zweiten Signing. Ich darf leider noch nicht verraten mit wem. Da wird es auf jeden Fall auch weiter gehen.

Ich hoffe halt, dass, wenn Corona es zulässt, ich wieder mehr auflegen darf. Es gibt ja auch 365 Female MCs-Partys, z. B. in Berlin im Klunkerkranich, wo dann den ganzen Abend nur Rap von Frauen läuft und weibliche DJs auflegen. Das Auflegen fehlt mir natürlich ganz schön. Ansonsten denke ich über coole Formate nach, die es vielleicht in naher bis mittelfristiger Zukunft geben wird. Da ist jetzt noch nicht so viel spruchreif.

 

 

geschrieben von: qurt. junior

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.