Von Frederike Rosenbusch, Jahrgang 11
Trigger-Warnung
Lesen Sie diese Reportage bitte nur durch, wenn Sie sich psychisch stabil fühlen. Dieser Text enthält persönliche Informationen über Depressionen, die einige Zuschauer:innen beunruhigend finden könnten. Lesen Sie auf eigene Verantwortung und behandeln Sie das Thema mit Respekt. Informationen und Ressourcen für Menschen, die an einer Depression leiden, sind verfügbar unter https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start
Leiden Sie seit mehr als zwei Wochen?
Leiden Sie seit mehr als zwei Wochen unter…
gedrückter Stimmung,
Interessenlosigkeit und/oder Freudlosigkeit, auch bei sonst angenehmen Ereignissen,
Schwunglosigkeit und/oder bleierner Müdigkeit und/oder innerer Unruhe,
fehlendem Selbstvertrauen und/oder fehlendem Selbstwertgefühl,
verminderter Konzentrationsfähigkeit und/oder starker Grübelneigung und/oder Unsicherheit beim Treffen von Entscheidungen,
starken Schuldgefühlen und/oder vermehrter Selbstkritik,
negativen Zukunftsperspektiven und/oder Hoffnungslosigkeit,
hartnäckigen Schlafstörungen,
vermindertem Appetit,
tiefer Verzweiflung und/oder Todesgedanken.
Beantwortet man 3 dieser Fragen mit Ja, deuten die Angaben laut der deutschen Depressionshilfe auf das Vorliegen einer depressiven Erkrankung hin. Das formulieren sie in einem kleinen Text, der darauf hinweist, dass man sich an einen Arzt oder einen Psychotherapeuten/ eine Psychotherapeutin wenden soll.
Die Fragen sollte man aber nicht leichtfertig beantworten. Denn Depressionen sind eine psychische Störung bzw. Erkrankung, die im schlimmsten Fall zum Suizid führen kann. 10 bis 15% aller Patienten mit wiederkehrenden schweren depressiven Phasen sterben durch Suizid. Depressionen sind also kein Trend und kein Begriff, mit dem man leichtfertig umgehen sollte.
Das ist der Schülerin wichtig, die sich dafür bereit erklärt hat, von ihrer Depression zu erzählen.
Die Schülerin möchte anonym bleiben, sie möchte nicht zum Aushängeschild der Erkrankung werden. Sie sagt, sie ist nur ein Beispiel von vielen, die leiden und weder Respekt noch das Anerkennen ihrer Krankheit erfahren.
Wenn sie den Selbsttest der deutschen Depressionshilfe ausfüllt, erscheint ein langer Text in Rot:
Bitte suchen Sie umgehend einen Arzt/ eine Ärztin (Hausarzt, Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin oder einen Nervenarzt) auf. Ihr Ergebnis lässt vermuten, dass Sie unter einer schweren depressiven Erkrankung leiden. Falls Sie diesen Test für einen Familienangehörigen oder Freund gemacht haben, sollten Sie ihn oder sie unbedingt zu einem Arztbesuch motivieren. Bitte beachten Sie, dass schwere depressive Erkrankungen leider immer wieder zu Selbsttötungsversuchen führen. Insofern brauchen Sie jetzt dringend professionelle Hilfe. Suchen Sie sich bitte umgehend professionelle Hilfe!
Wenden Sie sich außerhalb der Sprechzeiten immer an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.
Sie können sich rund um die Uhr anonym und kostenlos an die Telefonseelsorge unter 0800 – 1110111 wenden.”
Sie scheint nicht schockiert von dem Ergebnis auf dem Computerbildschirm. Kurz nicken, dann dreht sie sich zurück.
Dass es ihr nicht gut geht, weiß sie schon lange. Sie erzählt, dass sie ca. Mitte bis Ende der neunten Klasse immer längere Tiefphasen erlebt hat. Sicher ist sie sich aber nicht.
Im Durchschnitt beginnt eine Depression bei Jugendlichen im Alter von 15 Jahren, bei Mädchen bereits früher. Mädchen erkranken häufiger als Jungen. Eine depressive Phase dauert in der Regel 6-9 Monate, nicht selten jedoch auch länger als ein Jahr.
Wann warst du das letzte Mal glücklich?
Sie lächelt: “Das weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich in der Grundschule, bestimmt auch noch in der 7. Klasse, aber ich weiß es nicht.”
Eltern geben den hohen Leistungsdruck in der Schule, Mobbing sowie Druck durch Idole oder Influencer als Gründe für die psychischen Probleme ihrer Kinder an. Jüngere Kinder leiden unter Streit mit Freunden sowie Mobbing durch Mitschüler/-innen. Mit zunehmendem Alter der Kinder nimmt die Problematik von Depressionen in der Schule zu, da der Konkurrenz- und Leistungsdruck stärker wird.
Im Winter war es besonders schlimm, meint Sie, in der 9 Klasse. Hilfe hat sie versucht in der Schule zu bekommen. Sie ist zu den Sozialpädagogen gegangen.
Die Soziale Arbeit soll Lösungen für soziale Probleme bereitstellen und weitergeben. Soziale bzw. gesellschaftliche Aspekte haben neben anderen Aspekten, wie bereits erwähnt, eine Relevanz in der Entstehung von Depressionen.
Wahrscheinlich war das auch nicht die richtige Adresse, aber sie brauchte jemanden zum Reden, meint sie. Geholfen hat es jedoch nur kurz. Sie war ungefähr drei- bis viermal bei dem Sozialpädagogen.
Die ersten Male war es gut. Das Gefühl, gehört zu werden, hat geholfen. Viel geweint hat sie und über ihre Familie geredet. Über akute Probleme.
Danach dauerte es lange bis sie wieder die Chance auf Hilfe bekam, meint sie. In der Zwischenzeit versuchte sie Symptome zu lindern, häufige Traurigkeit und starke Schlafstörungen. Schlafen konnte sie nur, wenn sie sich selbst verletzte. “Es macht müde, dann kann man schlafen, man denkt an nichts mehr.”
Depressionen sind eine häufige Vorerkrankung von selbstverletzendem Verhalten. Besonders betroffen sind Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren. Sie versuchen dadurch ihre Gefühlswelt zu steuern. In den vergangenen Jahren nahm diese Zahl immer weiter zu. Experten schätzen, dass etwa jeder Siebte es mal ausprobiert hat.
Sie kam dann durch ihre Familie in eine Praxis, für einen Intelligenztest. Den vorsorglichen Test, den man ihr davor gab, sah sie als Chance. “Man sitzt da, die Fragen in dem Text werden einem sonst nie gestellt, niemand fragt, wie es einem wirklich geht.” Ihr wurde diese Frage nie so wirklich gestellt, meint sie. Also nicht die wichtigen Fragen, schiebt sie nach.
Wichtige Fragen? Solche wie die von der deutschen Depressionshilfe?
“Ja, so ungefähr. In einem ruhigen Moment, mit jemandem, der einem zuhört.” Sie hatte einen Leidensdruck, der so groß war, dass sie mit fast jedem geredet hätte, wenn derjenige sich Zeit genommen hätte.
Sie kam bei der Praxis in Zwischenbetreuung.
Einen Therapieplatz zu bekommen, ist sehr schwierig, Termine sind begehrt. Im Durchschnitt dauert es bei Krankenkassenpatienten ca. sechs Monate, bis man einen Therapieplatz bekommt. Die Zeit dazwischen kann durch flexibel vereinbarte Termine überbrückt werden. Meist ungefähr ein Termin im Monat.
Sie berichtet, dass es dadurch auf der einen Seite leichter wurde, weil man einen Ort hatte, an dem man sich mitteilen konnte. Auf der anderen Seite wurde es schwieriger. Durch das Arbeiten an verschiedenen Problemen verstärkten sich Symptomatiken, wie zum Beispiel Schlafstörungen, Angststörungen und Konzentrationsprobleme, die dann wiederum zu Problemen in der Schule führten.
Man versucht natürlich sich an Lehrer zu wenden, aber nach einer Zeit und ein paar blöden Kommentaren verliert man das Vertrauen. Ein Lehrer sprach sie mal vor der Klasse neben ihrem Klassenlehrer auf die Schnitte an den Beinen an. Was sie da gemacht hätte. Gefallen, blöd über den Boden geschlittert, passiere öfter, war die knappe Antwort. Der Lehrer fuhr fort, dann ist ja gut. Er hätte kurz Angst gehabt, sie sei eine dieser Gestörten, die sich schneiden. Eins dieser Ritz-Mädchen. Sie schüttelte ganz schnell den Kopf. Der Klassenlehrer sagte nichts, die Ausrede wurde geglaubt.
Viele der gesundheitlichen Störungen von Schülern, vor allem solche psychische oder psychosomatische Art, hängen eng mit dem System Schule zusammen” – der Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann.
Das sind kleine Beispiele, sagt sie, noch gar nicht alles. Das Schulsystem versagt bei ihr. Sie wäre nicht mit eingeschlossen in dieses System. Für sie ist vieles viel schwerer, früh aufstehen, Konzentrieren, Anforderungen erfüllen. Manchmal sei sie froh, wenn sie es schafft zwei Mal am Tag zu essen, weil mehr nicht geht. Weil Sie nicht die Kraft hat, mehr zu machen. Das frustriert. “Denken die ich bin zufrieden so, dass ich es mit Absicht mache?”, eine direkte Frage an ihre Lehrer und die Schule. Sie war gut in der Schule, 1,6er Schnitt. Jetzt muss sie sich mit Dreien und Vieren auseinandersetzen. Sie weiß, sie könnte es besser. Es geht nur irgendwie nicht. Im Unterricht sitzt sie oft mit Kopfschmerzen und Müdigkeit. Wenn Unterricht langweilig erscheint, schaltet sie ab. Dann kommt sie nicht mehr mit.
Sie hat jetzt einen Therapieplatz. Die Situation mit Corona hat ihr geholfen, einen festen Tagesablauf zu gestalten. Mit Dingen, die sie gerne macht, die beim Aufstehen helfen und beim Schlafengehen. Das ihr Schule gerade nicht leicht fällt, daran kann niemand etwas ändern, dass weiß sie. In der Schule gut zu sein, ist ihre Aufgabe. Manchmal wünscht sich die Schülerin nur Verständnis. Das Lehrer auf sie zukommen, um über Probleme in der Schule zu reden, über schlechte Noten und Wege, diese noch aufzubessern.
Über Depressionen muss es Gespräche geben. Man muss das Schülern und Lehrern erklären – ein Bewusstsein schaffen, um das Leiden der zwei Wochen zu bekämpfen.